Handel beruhigt sich selbst
Man sollte meinen, nach über einem Jahrzehnt E- Commerce ist der Handel aus der Schreckstarre heraus und hat sich damit abgefunden, dass die Kunden im Netz ihr Geld für Mode und Technik ausgeben und nicht mehr so gerne im Ladengeschäft. Auf dem gerade zu Ende gegangenen Branchentreffen Deutscher Handelskongress wurde die eigene Ratlosigkeit jedoch sehr deutlich. Beruhigungspillen bezüglich des erwarteten Internet-Umsatzes wurden genauso verteilt wie die Erkenntnis, dass, wenn sich der Handel nur auf seine ureigensten Stärken wie Beratung, Auswahlfunktion und Einkaufserlebnis besinnt, alles schon nicht so schlimm wird.
Nachdem jahrelang das Primat des Kostensenkens vor allem durch Personalabbau geherrscht hat, scheint es zumindest ein verbales Bekenntnis zur Mitarbeiterqualität und –quantität zu geben. Ob man dem eher zynischen Rat von Roland Berger Berater Philip Beil folgen mag, statt Aushilfskräften und Springern auf der Fläche doch mehr Auszubildende einzusetzen, weil diese billiger, motivierter und produktiver seien, sollte sich aber jeder Arbeitgeber sehr gut überlegen. Attraktiver wird man sicherlich nicht mit der Ansage, über Bedarf auszubilden und nach Ausbildungsende nur die Besten zu übernehmen.
Für Inditex liegt das Erfolgsgeheimnis nach Aussage von Jesús Echevarría, Chief Communications & Corporate Affairs Officer der Inditex Group, möglichst nah am Kunden zu sein. Entsprechend wird sehr großer Wert auf die Lage und die Gestaltung des Ladengeschäfts gelegt. Statt E-Commerce wird das Webgeschäft als Ergänzung zum Store gesehen, inklusive der Multichannel-Integration wie Rückgabe online bestellter Ware im Geschäft. Aber auch ein erfolgreiches Beispiel wie Inditex achtet auf Sinn und Kosten von technologischen Innovationen. Virtuelle Spiegel seien toll anzuschauen, „aber kein Grund, es flächendeckend auszurollen“.
Otto stört die Ruhe
Einig waren sich alle Redner, dass online nicht mehr verschwindet und je nach Retail-Zweig eine unbedeutende (wohl Lebensmittel) bis prägende Rolle (Fashion, Technik) spielen wird. Sehr offen war Jürgen Schulte-Laggenbeck, CFO der Otto-Group in seinem Vortrag, was die Chancen, aber auch Risiken des Online-Geschäfts anging. „Das Tempo des Wandels erschreckt uns immer wieder“, räumte der Finanzchef des zweitgrößten deutschen Online-Händlers ein. Und eine weitere Erkenntnis aus der jahrelangen Erfahrung störte die Ruhe. „Mit Online werden sie in den ersten 4-5 Jahren kein positives Ergebnis erzielen“, ist Schulte Laggenbeck überzeugt.
Online zu ignorieren, ist aber auch keine Option. Darauf wies Frank Rehme, Geschäftsführer der Handelsberatung gmvteam beim Microsoft DHK-Vorabend-Event hin und zitierte Wayne Gretzky: „100 Prozent der Schüsse, die Du nicht machst, gehen nicht ins Tor.“ Entsprechend positiv wurden die Aktivitäten von Rewe bewertet, die eine Vielzahl von Konzepten ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, nach dem Test zu wissen, es hat nicht funktioniert.
„Die 1a-Lage zur Kaufentscheidung wird zukünftig im Kopf sein“, ist Christoph E. Rosa, CEO der CBR Fashion Holding, überzeugt. Er sieht den Einfluss durch Social Media für seine Filialen durch die Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls und als die notwendige Maßnahme zur Kundenbindung.
Was tun
Ignorieren geht nicht; bleibt, sich offensiv mit dem Thema online auseinanderzusetzen. Es muss nicht sinnvoll sein, einen eigenen Shop aufzumachen, aber die Möglichkeiten der Kundenerreichung und -bindung via Social Media, Search Engine Marketing und In-store-Technologie darf kein Händler außer Acht lassen. Und, hier besteht nach Jahrzehnten des Kahlschlags ein kleiner Hoffnungsschimmer, es herrschte Einigkeit, dass qualifiziertes Personal auf und neben der Fläche entscheidend ist, sowohl für die Sortimentsauswahl als auch für die Beratung.
Autor: Frank Naujoks